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Iran am Wendepunkt: Währungskollaps, Proteste und Suche nach polit. Ordnung
Rial stürzt ab – Proteste wachsen

Bazare schließen, Inflation explodiert: Warum Iran (Quelle: Saman Hajibabaei )
GDN -
Iran am Rand eines Wendepunkts
Wirtschaftlicher Kollaps, gesellschaftliche Mobilisierung und die Suche nach politischer Perspektive
(Analyse | 28.–30. Dezember 2025)
Vorspann
Tränengasschwaden über den Straßen Teherans, Rufe nach „Azadi“ – Freiheit – und geschlossene Geschäfte im Herzen der Hauptstadt: Die Ereignisse der letzten Dezembertage 2025 markieren mehr als eine weitere Protestepisode in Iran.
Was sich derzeit entfaltet, ist eine vielschichtige Krise, in der ökonomischer Zusammenbruch, gesellschaftliche Mobilisierung und politische Sinnsuche erstmals seit Jahren sichtbar ineinandergreifen.
Internationale Agenturen berichten von Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen in mehreren Großstädten, vom Einsatz von Sicherheitskräften sowie von ungewöhnlichen Signalen aus dem Machtzentrum selbst. Die zentrale Frage lautet daher nicht, ob Iran protestiert sondern ob sich hier eine strukturelle Verschiebung ankündigt.
Wirtschaftlicher Kollaps, gesellschaftliche Mobilisierung und die Suche nach politischer Perspektive
(Analyse | 28.–30. Dezember 2025)
Vorspann
Tränengasschwaden über den Straßen Teherans, Rufe nach „Azadi“ – Freiheit – und geschlossene Geschäfte im Herzen der Hauptstadt: Die Ereignisse der letzten Dezembertage 2025 markieren mehr als eine weitere Protestepisode in Iran.
Was sich derzeit entfaltet, ist eine vielschichtige Krise, in der ökonomischer Zusammenbruch, gesellschaftliche Mobilisierung und politische Sinnsuche erstmals seit Jahren sichtbar ineinandergreifen.
Internationale Agenturen berichten von Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen in mehreren Großstädten, vom Einsatz von Sicherheitskräften sowie von ungewöhnlichen Signalen aus dem Machtzentrum selbst. Die zentrale Frage lautet daher nicht, ob Iran protestiert sondern ob sich hier eine strukturelle Verschiebung ankündigt.
Der Auslöser: Eine Währung verliert ihre gesellschaftliche Funktion
1.1 Der Rial als KrisensignalNach übereinstimmenden Berichten internationaler Nachrichtenagenturen erreichte der iranische Rial Ende Dezember 2025 auf dem freien Markt einen Wechselkurs von etwa 1,38 bis 1,45 Millionen Rial pro US-Dollar. Die Schwankungsbreite verdeutlicht bereits das Kernproblem: Vertrauen ist kaum noch vorhanden.
Währung fungiert nicht nur als ökonomisches Instrument, sondern als soziales Bindemittel. Wenn sie diese Funktion verliert, wird Kaufkraft zu Unsicherheit – und Unsicherheit zu politischer Spannung.
1.2 Inflation und Alltagserfahrung
Offizielle Angaben sprechen von einer jährlichen Inflationsrate von über 40 Prozent. Unabhängige Schätzungen und journalistische Erhebungen zeigen jedoch vor allem eines:
Lebensmittelpreise sind innerhalb eines Jahres um rund 70 Prozent gestiegen, Medikamente um etwa 50 Prozent. Für breite Bevölkerungsschichten bedeutet dies nicht Wohlstandsverlust, sondern materielle Destabilisierung des Alltags.
2. Warum der Basar mehr ist als ein Markt
2.1 Geschäftsschließungen als politisches Frühwarnsignal
Besondere Aufmerksamkeit gilt den zeitweisen Schließungen von Geschäften im Umfeld des Großen Basars von Teheran. In der iranischen Geschichte fungierte der Basar wiederholt als Scharnier zwischen Wirtschaft und Politik. Seine Beteiligung signalisiert, dass Protest nicht mehr randständig ist.
2.2 Warum dieser Protest schwer zu kontrollieren ist
Er trifft unmittelbar Geldumlauf, Versorgung und urbane Normalität
Er verbindet Händler, Arbeitnehmer und Konsumenten
Er lässt sich sicherheitspolitisch nur begrenzt isolieren
Ökonomisch motivierter Protest besitzt ein hohes Eskalationspotenzial, weil er anschlussfähig ist.
2.1 Geschäftsschließungen als politisches Frühwarnsignal
Besondere Aufmerksamkeit gilt den zeitweisen Schließungen von Geschäften im Umfeld des Großen Basars von Teheran. In der iranischen Geschichte fungierte der Basar wiederholt als Scharnier zwischen Wirtschaft und Politik. Seine Beteiligung signalisiert, dass Protest nicht mehr randständig ist.
2.2 Warum dieser Protest schwer zu kontrollieren ist
Er trifft unmittelbar Geldumlauf, Versorgung und urbane Normalität
Er verbindet Händler, Arbeitnehmer und Konsumenten
Er lässt sich sicherheitspolitisch nur begrenzt isolieren
Ökonomisch motivierter Protest besitzt ein hohes Eskalationspotenzial, weil er anschlussfähig ist.
3. Geografische Ausweitung und staatliche Reaktion
Am 29. Dezember wurden Proteste nicht nur aus Teheran, sondern auch aus Isfahan, Schiras und Maschhad gemeldet. Entscheidend ist weniger die Anzahl der Städte als das Muster der Ausbreitung: von lokalem wirtschaftlichem Unmut hin zu urbaner, mehrschichtiger Mobilisierung.Der Einsatz von Tränengas und Sicherheitskräften deutet darauf hin, dass die Staatsführung die Lage nicht mehr ausschließlich als ökonomisches Problem interpretiert, sondern als politisch sicherheitsrelevant.
4.Elitensignale: Krisenmanagement von oben
Im Kontext der Währungskrise wurde der Rücktritt des Zentralbankchefs bekannt. In autoritären Systemen erfüllen solche Personalentscheidungen meist zwei Funktionen:1.Implizite Anerkennung einer ernsthaften Krise
2.Versuch kurzfristiger Beruhigung ohne strukturelle Reform
Die Ursachen Sanktionen, Misswirtschaft, institutionelle Blockaden bleiben jedoch bestehen.
5. Vom Preisprotest zur politischen Zuschreibung
Internationale Berichte und Videomaterial zeigen, dass sich Teile der Proteste nicht mehr allein auf Preise oder Wechselkurse beziehen. Parolen wie „Keine Angst, wir sind zusammen“ oder „Azadi“ markieren eine Verschiebung der Deutung: von wirtschaftlicher Klage hin zur Frage politischer Verantwortung.Politikwissenschaftlich ist dieser Übergang entscheidend. Sobald eine Krise als Governance-Problem verstanden wird, verändert sich die Dynamik grundlegend.
6. Symbole, Namen und die Suche nach Orientierung
In diesem Kontext tauchen vereinzelt auch historische und exilpolitische Bezugspunkte auf darunter der Name Reza Pahlavi. Analytisch relevant ist weniger die Häufigkeit solcher Bezüge als ihre Funktion.In Systemen ohne freie Parteien und legale Opposition greifen Bewegungen häufig auf symbolisch anschlussfähige Referenzen zurück, um disparate Gruppen kommunikativ zu verbinden. Dabei steht der Name nicht zwingend für ein konkretes politisches Projekt, sondern für eine vorstellbare Alternative.
Erklärungsansätze:
Betonung säkular-demokratischer Verfahren (Referendum, Rechtsstaat)
Integrationsfunktion in Abwesenheit innerstaatlicher Führungsstrukturen
Narrative Abgrenzung von der herrschenden Ideologie
Internationale Übersetzbarkeit für Medien und Politik
7. Revolution oder Übergang? Eine nüchterne Einordnung
Von einer „Revolution“ zu sprechen wäre analytisch verfrüht. Benennbar sind bislang lediglich Indikatoren:Beteiligung wirtschaftlich konservativer Akteure
Ausweitung auf mehrere urbane Zentren
Zuspitzung der Währungskrise bei gleichzeitigen Elitenanpassungen
Offen bleiben zentrale Fragen:
Erfassen Arbeitsniederlegungen Schlüsselindustrien?
Werden Risse innerhalb der politischen oder sicherheitlichen Elite sichtbar?
Wie wirken Kommunikationsbeschränkungen auf Mobilisierung?
8. Mögliche Szenarien
Szenario A: Eindämmung bei wachsendem LegitimationsverlustSelektive Repression, begrenzte Zugeständnisse und personelle Wechsel stabilisieren kurzfristig, ohne die Krise zu lösen.
Szenario B: Übergang zur strukturellen Systemkrise
Sollten Streiks zentrale Wirtschaftssektoren erreichen, steigt die Wahrscheinlichkeit einer tiefgreifenden Destabilisierung – insbesondere bei anhaltender Inflation und Devisenmangel.
Schlussfolgerung
Die Ereignisse Ende Dezember 2025 markieren das Zusammentreffen dreier Krisen:
Lebensunterhalt, Governance und politische Perspektive.
Wenn Währungsverfall, Basarproteste und urbane Konfrontationen zeitgleich auftreten, geht es nicht mehr um den Dollarkurs, sondern um die Neudefinition politischer Zukunft. Das Auftauchen von Namen und Symbolen ist dabei weniger nostalgisch als funktional: Ausdruck einer gesellschaftlichen Suche nach Ordnung, Recht und kollektiver Entscheidungsfähigkeit.
Für Europa ist dies keine ferne Episode. Hier ringen Menschen um Werte, die auch in der europäischen Geschichte unter hohem Risiko erkämpft wurden. Der Umgang mit Irans Krise wird daher nicht nur regional, sondern auch normativ gelesen werden – als Test der Ernsthaftigkeit universeller Prinzipien.
Wegsehen ist analytisch bequem. Politisch und moralisch ist es das nicht.
Die Ereignisse Ende Dezember 2025 markieren das Zusammentreffen dreier Krisen:
Lebensunterhalt, Governance und politische Perspektive.
Wenn Währungsverfall, Basarproteste und urbane Konfrontationen zeitgleich auftreten, geht es nicht mehr um den Dollarkurs, sondern um die Neudefinition politischer Zukunft. Das Auftauchen von Namen und Symbolen ist dabei weniger nostalgisch als funktional: Ausdruck einer gesellschaftlichen Suche nach Ordnung, Recht und kollektiver Entscheidungsfähigkeit.
Für Europa ist dies keine ferne Episode. Hier ringen Menschen um Werte, die auch in der europäischen Geschichte unter hohem Risiko erkämpft wurden. Der Umgang mit Irans Krise wird daher nicht nur regional, sondern auch normativ gelesen werden – als Test der Ernsthaftigkeit universeller Prinzipien.
Wegsehen ist analytisch bequem. Politisch und moralisch ist es das nicht.
weitere Informationen: https://www.bybobs.de
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